„In Polen ist es normal, patriotisch aufzuwachsen“
Der politische Rechtsruck ist spätestens seit der Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten ein globales Phänomen. In Polen hat bereits im Oktober 2015 die nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) die Parlamentswahlen mit 37,6 Prozent gewonnen und konnte sich mit 235 von 460 Mandaten mit einer absoluten Mehrheit etablieren. Unter dem „Titel Rechtsruck in Polen? Einschätzungen zur politischen und wirtschaftlichen Lage in unserem Nachbarland“ hat jetzt der CDU-Ortsverband Gütersloh einen Informationsabend zur Situation in Polen veranstaltet. Dazu hatte der Ortsverbandsvorsitzende Wilko Wiesner die Politikwissenschaftlerin und Volkswirtin Aleksandra Klofat, Doktorandin zum entsprechenden Thema an der Universität Witten-Herdecke, als Referentin eingeladen.
Ratsherr Michael Wolbeck, Referentin Aleksandra Klofat und CDU-Ortsverbandsvorsitzender Wilko Wiesner. Klofat, die in Polen aufgewachsen ist und in Deutschland studiert hat, sieht verschiedene Gründe für den Rechtsruck in ihrem Heimatland. Dazu gehören vor allem die polnische Geschichte und ihre Vermittlung in der Schule, der Einfluss der katholischen Kirche und die wirtschaftliche Entwicklung. „Die Polen leben durch die wechselhafte Geschichte des Landes und die traumatischen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg in größerer Unsicherheit als die Menschen in anderen europäischen Ländern“, so Klofat. „Diese Unsicherheit wird durch eine stärkere patriotische Ausrichtung kompensiert, die schon in der Schulbildung ihren Niederschlag findet. In Polen ist es daher völlig normal, patriotisch aufzuwachsen.“ Hinzu komme der starke Einfluss der konservativen katholischen Kirche, die lange Zeit der Träger der polnischen Kultur gewesen ist. Noch heute seien über 90 Prozent der Polen katholisch.
Wichtig für den Rechtsruck ist laut Klofat auch die wirtschaftliche Entwicklung im Land: Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 8 und 13 Prozent. Es gibt ein starkes Lohn- und Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land. Die Gewinner der Verschiebung von Dienstleistungsarbeiten aus dem Ausland seien nur die großen Städte. „In Polen herrscht verbreitet Armut, das mittlere Gehalt liegt bei nur 600 Euro im Monat, die sozialen Leistungen sind äußerst gering und reichen nicht zum Leben“, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Weitere Faktoren sind der EU-Beitritt, der aus Sicht vieler Polen ohne die gewünschten Folgen geblieben ist, sowie die Auswanderungswelle aus berufsbedingter Not. Dies führe zusammen mit einem drastischen Geburtenrückgang zum Fachkräftemangel in den polnischen Schlüsselindustrien und zum Pflegenotstand. Als charakteristisch für das heutige Polen sieht Klofat die Instabilität des Parteiensystems. Während die meisten Parteien der politischen Wendezeit von 1990 schon lange nicht mehr existieren, hat es die PiS innerhalb von 14 Jahren von 10 Prozent bis zur absoluten Mehrheit geschafft.
In der anschließenden Diskussion konzentrierten sich die Fragen vor allem auf die Gefahr der drohenden Isolation des Landes, sollte die Tendenz zum Misstrauen gegen die Nachbarländer weiter zunehmen.