»Fußballer aus der Tiefe der Firma« - WB-Interview mit Jochen Werner (ehemaliger Mohndruck-Betriebsratschef, Anm.d.Red.) zur Berufung Hartmut Ostrowskis (21.01.07)

Zur Berufung von Hartmut Ostrowski zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann AG findet sich im Westfalen Blatt unter obiger Überschrift folgendes interessante Interview, dass WB-Redakteur Stephan Rechlin mit dem ehemaligen »Mohndruck«-Betriebsratschef Jochen Werner (67) geführt hat:

Hatten Sie die Berufung Hartmut Ostrowskis befürchtet oder erhofft?
Jochen Werner: Ich freue mich über die Berufung Hartmut Ostrowskis. Damit wurde jemand gewählt, der aus der Tiefe des Unternehmens kommt, der hier klein angefangen und etliche Abteilungen durchlaufen hat. Ein Fußballer, der weiß, was Teamgeist ist und dass man ohne Training keinen Erfolg hat.
Und der wie Middelhoff von Arvato kommt und vom amtierenden Vorsitzenden gefördert wurde...
Werner: Das stimmt. Gunter Thielen hat Hartmut Ostrowski früh auf einen Wechsel an die Konzernspitze vorbereitet. Weil Thielen schon zum Amtsantritt 2002 wusste, dass er ein »Übergangskandidat« sein würde, der in einer zutiefst kritischen Phase in die Bresche gesprungen war. Ich betrachte die lange Vorbereitung als vorteilhaft. Thomas Middelhoff gelangte als junger Aufsteiger auf die Position, ohne auch nur ansatzweise eine solch erfolgreiche Arbeit wie Ostrowski vorweisen zu können. Mark Wössner hatte Middelhoff vermutlich gefördert, um über ihn noch selbst Einfluss auf die Konzernführung nehmen zu können. Ich stimmte damals im Aufsichtsrat gegen die Berufung Middelhoffs. Ostrowskis Kandidatur hätte ich unterstützt.

Unter Ostrowskis Führung geht es bei Arvato nicht gerade gemütlich zu. Während die Bertelsmann Stiftung die Gewerkschaften stets in ihre Reformvorhaben einbindet, bekommen sie beim größten Arbeitgeber Güterslohs kein Bein an die Erde.
Werner: Das liegt nicht an Hartmut Ostrowski, sondern an der Branche. Es hat die Gewerkschaft schon immer gewurmt, dass bei den Arvato-Firmen ohne ihren Einfluss gute Ergebnisse für die Belegschaften ausgehandelt wurden. Die fundamentale Ablehnung von Überstunden und die teils kommunistische Rhetorik ihrer Funktionäre kosteten der IG Druck und Papier und später Verdi viele Sympathien. So konnten sie bei Bertelsmann keine Mitglieder gewinnen. Diesem Rückstand laufen sie bis heute hinterher.

Sie holen auf. Die mitunter rüde Vorgehensweise beim Personalabbau bei der AZ Direkt bescherte Verdi im vergangenen Jahr kräftigen Zuwachs.
Werner: Personalabbau ist immer grausam. Die Arbeit bei Bertelsmann war auch zu meiner Zeit keine Therapie-Veranstaltung. Jede Firma, jede Abteilung muss sich zunächst am Markt behaupten. Sonst gibt es kein Unternehmen mehr, in dem man partnerschaftlich miteinander umgehen kann. Die anfängliche Vorgehensweise bei AZ Direkt sorgt mich aus einem anderen Grund.

Aus welchem?
Werner: Wenn die Angst um den Erhalt des Arbeitsplatzes ein so schweres Gewicht bekommt, dass man nicht mehr offen zu sprechen wagt, dann wird die gesamte Unternehmenskultur mit ihren Jahres- und Mitarbeitergesprächen überflüssig. Wir haben uns damals auch gestritten, mitunter mächtig gestritten, um den richtigen Weg für das Unternehmen und die Mitarbeiter zu finden. "Malochen können alle," sagte Mark Wössner immer, "wir müssen die pfiffigste Lösung finden." Dieser von Reinhard Mohn berufene Geist und die dezentrale Führung bleiben die wichtigsten Erfolgsfaktoren von Bertelsmann.

Bleiben sie es auch unter Hartmut Ostrowski?
Werner: Davon bin ich fest überzeugt. Zumal die Unternehmenskultur mit dem Rückkauf der GBL-Anteile im vergangenen Jahr einen noch höheren Stellenwert bekommen hat. Die 4,5 Milliarden Euro wurden ausdrücklich deswegen ausgegeben, um diese Kultur bewahren zu können. Sie ist bares Geld wert.

Bertelsmann lässt Reinhard Mohn in einem Film glorifizieren, ein kritisches Buch zur Unternehmenskultur aber kommt nicht zustande. Neigt der Konzern mit zunehmendem Alter zum Selbstbetrug?
Werner: Ich kenne nur die bereits veröffentlichten Werke zur Bertelsmann-Geschichte und die haben mich enttäuscht. Ich zweifle allerdings, ob es überhaupt möglich ist, ein kritisches Buch zur eigenen Unternehmenskultur in Auftrag geben zu können.